Risiken und Nebenwirkungen
Jasmin berichtet in diesem Gast-Blogartikel von den möglichen Risiken und Nebenwirkungen von strafbasiertem Training.
Strafbasiertes Training zeigt oft in kürzester Zeit beeindruckende "Erfolge". Später dann zeigen sich oft die Nebenwirkungen des vermeintlichen Erfolgs, und man bzw. der Hund hat mehr Probleme als zuvor.
Aber lest selbst ...
"Obwohl wir uns vor dem Einzug unseres ersten Hunds umfassend schlau gemacht und sehr viel gelesen haben, waren wir mit seiner Erziehung erstmal überfordert. Also haben wir uns eine Hundeschule gesucht – Hauptproblem war für uns die fehlende Leinenführigkeit. Zwar ist Joe nicht besonders schwer, aber dennoch ist es nicht spaßig, mit einem zerrenden, röchelnden Hund unterwegs zu sein.
In der Hundeschule wurde uns erklärt, dass wir auf ein Halsband umsteigen müssen, da der Hund am Geschirr quasi gar nicht anders kann, als zu ziehen, und dass wir jedes Mal, wenn die Leine auf Zug ist, kräftig daran rucken sollen. Wir fanden das nicht so toll, allerdings wurde uns ausführlich pseudowissenschaftlich erklärt, warum das für den Hund überhaupt nicht so schlimm und die einzige wirksame Methode sei.
Wie leider meistens bei der Arbeit mit Strafe hat das ‚Training‘ zunächst auch gut funktioniert und Joe hat, da er vollkommen verschüchtert war, sofort aufgehört zu ziehen. Wir haben also ein paar Tage so gearbeitet, uns dann aber doch nicht wohlgefühlt, weshalb wir mit dem Rucken aufgehört und eine neue Hundeschule gesucht haben. Nachdem uns allerdings vom dritten Trainer der Leinenruck empfohlen wurde, haben wir uns leider damit abgefunden und die Hundeschule weiter besucht.
Rückruf wurde dort trainiert, indem die Hunde mit einer Ablenkung verführt und dann mit Leine oder Schlüsselbund beworfen wurden, wenn sie nicht reagiert haben. Mein Hund hat so ganz gut funktioniert – die Leinenführigkeit wurde besser (wenn auch nicht wirklich gut) und er hat ziemlich zuverlässig auf den Rückruf gehört.
Eines Tages rannte Joe beim Spaziergang dann plötzlich völlig kopflos über eine Wiese los und war nicht mehr ansprechbar. Erst, als er schon mehrere hundert Meter entfernt war, kam er zurück. Ich habe mir zunächst nicht viel dabei gedacht, aber das Verhalten kam wieder und wieder. Irgendwann sprang er auch beim Spaziergang im Dunkeln an der Straße völlig unkontrolliert in die Leine. Nach einer Weile habe ich realisiert, dass er seinen Schatten gejagt hat. Das Verhalten wurde immer schlimmer. Spaziergänge an einer befahrenen Straße waren nach der Dämmerung aufgrund der Autolichter quasi nicht mehr möglich. Da bin ich ins Grübeln gekommen und habe nach Ursachen gesucht.
Parallel hatte ich auf Empfehlung einer Freundin einen Clicker gekauft und mit Tricktraining begonnen. Joe hatte einen wahnsinnigen Spaß daran und hat beim Clickertraining so gestrahlt wie sonst nie, was mich ebenfalls zum Nachdenken gebracht hat.
Als ich dann eines Tages in der Wohnung den Rückruf üben wollte und Joe daraufhin einfach nur panisch in seine Box gerannt ist, weil er Angst hatte, beworfen zu werden, war mir klar, dass ich so nicht mehr weiterarbeiten will.
Massive Blockaden im Rücken hatte er von den Leinenrucks übrigens auch, wie sich bei einer physiotherapeutischen Behandlung herausgestellt hat. Wir haben uns dann eine positiv arbeitende Hundeschule gesucht und realisiert, dass Joes auffälliges Verhalten, das Schattenjagen, Resultat des massiven Stresses war, den ihm das Training bereitet hat. Übrigens hat er das ansonsten nicht sonderlich deutlich gezeigt – er hat alles runtergeschluckt und irgendwann haben sich seine Sorgen dann eben ein anderes Ventil gesucht.
Bis wir das Schattenjagen wieder im Griff hatten, hat es sehr, sehr lange gedauert und sehr viel Training gekostet, und wer sich über das Leineziehen ärgert und über einen Leinenruck nachdenkt, dem kann ich sagen: Leineziehen ist ein Witz im Vergleich zum Schattenjagen. Bis Joe mir wirklich wieder vertraut hat und sich sicher war, dass er mit nichts beworfen wird und auch sonst nichts zu befürchten hat, hat es sehr lange gedauert.
Wenn ich heute sehe, wie er dank Natalies Training freudig an der Leine neben mir her läuft, und das ganz ohne Schmerzen, macht mich das einerseits sehr glücklich, andererseits aber auch traurig, weil wir nicht gleich diesen Weg gewählt haben. Insbesondere schätze ich an Natalie sehr, dass sie der Ursache von Verhaltensproblemen wirklich auf den Grund geht und nicht irgendeine vorgefertigte Standard-Erklärung liefert, die mit Dominanz und Weltherrschafts-Ansprüchen des Hunds zu tun hat. Nur so kann man Fehlverhalten wirklich nachhaltig verändern und vermeiden, dass am Ende zu viel schlimmeren Problemen kommt. Übrigens hat Natalies Training auch sehr viel nachhaltiger gewirkt als die Leinenrucks – so gut wie momentan ist Joe noch nie in seinem Leben an der Leine gelaufen."