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Lass dir ein dickes Fell wachsen

Ein dickes Fell und eine gewisse "Scheißegal"-Haltung sind unerlässlich im Zusammenleben mit einem Hund und im Hundetraining. Dann nämlich, wenn es um manche wohlmeinenden oder nicht so wohlmeinenden Mitmenschen geht. Sehr viele Hunde und ihre Halter haben ein Thema mit Begegnungssituationen. Manche Hunde haben damit ein echtes Problem - sie haben zum Beispiel Angst vor Artgenossen, vor Männern oder vor Kindern. Oder sie haben ein Impulskontrollproblem mit Fahrzeugen, Menschen oder Tieren, die sich plötzlich schnell bewegen, und schießen dann unvermittelt los. Manche Hunde haben auch selbst gar kein Problem, sondern kommunizieren vollkommen normal und gesund. Wenn diesen Hunden ein drohfixierender und knurrender Fremdhund entgegenkommt, dann knurren oder bellen sie z.B. zurück. Und damit hat dann oft der Halter ein Problem. Es ist ihm peinlich. Wie auch immer die Problematik gelagert ist - die Situation, dass der eigene Hund mal in die Leine springt und einen entgegenkommenden Menschen oder Hund anpöbelt, kennt mit Sicherheit jeder Hundehalter. Im Training finden der Hundehalter und ich dann gemeinsam heraus, was der Grund für das Verhalten ist, wir erarbeiten Trainings- und Managementstrategien, und wir arbeiten auch immer an der Stimmung und am Auftreten des Menschen. Was der Hund in solch einer stressbeladenen Begegnungssituation braucht, ist ein Mensch, der ruhig, klar und souverän handelt. Der das im Training bis dato Erarbeitete in dieser Echt-Situation dann auch wirklich umsetzt. Und sollte die Begegnungssituation noch zu schwierig sein für den Hund, und er zeigt wieder sein "Problem"verhalten, dann ist es wichtig, dass auch da sein Mensch die Situation möglichst ruhig und souverän managet. Das kann z.B. bedeuten, dass er umdreht, aus der Situation rausgeht und kommentarlos seinen knurrenden, bellenden, sich aufregenden Hund an der Leine mitnimmt. Oder dass er ein Stück auf die Seite geht, seinen Hund kurz hält, ruhig bleibt und die Passanten einfach vorbeigehen lässt o.ä. Was auch immer die besprochene "Notfallstrategie" ist. Tatsächlich aber fällt das den meisten Hundehaltern irre schwer. Die meisten werden dann doch laut, schnauzen ihren Hund an, zerren an der Leine rum und vergessen spontan all ihre Strategien. Das passiert sogar oft den Hundehaltern, mit denen ich schon länger zusammenarbeite, die mit ihren Hunden viele Fortschritte gemacht haben und auch den Zusammenhang zwischen der eigenen Stimmung und Emotion und dem Verhalten des Hundes kennen. Warum ist das so? Ich denke, es liegt an dem irren Druck, unter dem wir Hundehalter in der Öffentlichkeit stehen. Hunde sollen sich gefälligst immer und überall anpassen und möglichst unsichtbar und unhörbar sein. Jegliche lautstarke aggressive Kommunikation - und sei sie noch so angepasst und angebracht - wird negativ bewertet. Wenn mir z.B. auf einem schmalen Waldweg ein Mensch mit einem drohfixierenden Hund entgegenkommt, dann reagiert mein Coffee darauf. Er ist unsicher, fühlt sich bedroht (was er ja auch wird!) und bellt dann den anderen Hund an, um dafür zu sorgen, dass dieser auf Abstand bleibt. Ganz normale, angepasste Kommunikation. Mein Job ist es, Coffee so durch diese Situation zu führen, dass er sich sicher fühlen kann und keine Sorge haben muss, dass ihm der drohende Hund zu nahe kommt. Coffee braucht einen gewissen Abstand, damit er sich wohl fühlen und ruhig bleiben kann. Diesen Abstand kann ich jedoch nicht immer gewährleisten, weil manchmal z.B. auf beiden Seiten des Weges das Unterholz zu dicht ist. Ich muss ihn also in dem Moment einer Situation aussetzen, die ihm ungeheuer ist, was er dann durch Bellen vokalisiert. Ganz normal. Darf er. Hat er Recht. Er bekommt dann von mir klar vermittelt, dass nichts passieren wird und ich alles im Griff habe, indem ich mich zwischen ihm und "Angreifer" positioniere. Das verhindert jedoch nicht, dass er bellt, wenn es ihm zu dicht ist und er blöd angestarrt oder gar angebellt wird vom Fremdhund. Ich habe in so einer Situation zwei Möglichkeiten. Entweder ich bleibe ruhig, manage es wie oben beschrieben, Coffee bellt kurz, wir gehen weiter, fertig. Oder ich versuche, das Bellen zu unterbinden, gerate selbst unter Druck und Stress ... und Coffee bellt dann meist trotzdem und war der Situation mit gestresstem Frauchen ausgesetzt. Das passiert mir doch eh nicht, denkt Ihr jetzt vielleicht, da ich es doch besser weiß - seit Jahren. Oh doch. Manchmal passiert mir das. Manchmal werde ich ein wenig hektisch. Manchmal versuche ich, das Bellen zu unterbinden, obwohl ich weiß, dass das Mist ist. Herrgott nochmal, er bellt fünf Sekunden lang, bleibt dabei an lockerer Leine neben mir und ist jederzeit von mir lenkbar. Warum gerate ich trotzdem manchmal in Stress? Weil mein Fell noch nicht immer dick genug ist. Weil mich die blöden Kommentare, die dann oft kommen, eben doch berühren. "Ja ja, die Kleinen sind immer die lautesten!" u.ä. Es kommen keine wirklich schlimmen Kommentare. Aber halt völligst unqualifizierte. An Tagen, an denen ich dünnhäutig statt dickfellig unterwegs bin, will ich solche Dinge nicht hören. (Theoretisch gäbe es übrigens noch eine dritte Möglichkeit - ich könnte das Bellen so massiv bestrafen, dass er es lässt. Diese Variante ist aber logischerweise indiskutabel.) Deshalb kann ich jedem von Euch sehr gut nachempfinden, der wider besseren Wissens statt souverän und ruhig zu bleiben, dann eben doch laut und hektisch wird. Mit einem echten Leinenpöbler oder einem Hund mit Angstaggression, mangelnder Selbstbeherrschung o.ä. bekommt man dann ja noch ganz andere Reaktionen von den "lieben" Mitmenschen als ich. "Oh, der ist aber böse!" "Erzieh' endlich mal deinen Hund!" "Ist das ein Kampfhund?" "Der ist gefährlich, ich zeige Sie an!" usw. ... oder dann die wirklich wohlmeinenden, die extra noch stehenbleiben, den Hund anstarren und ihm erzählen: "Du brauchst keine Angst haben, ich tu' dir nichts!" ARGH!!! Und so schnauzt Ihr dann eben doch mal Euren Hund an, zerrt an ihm rum, meckert, er möge diesen Scheiß doch endlich mal lassen etc. ... nicht, weil Ihr glaubt, dass das irgendwas bringt ... sondern um den Mitmenschen von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wenn die wenigstens mitbekommen, dass man selber das Verhalten seines Hundes doof findet und dagegen ankämpft, kommen vielleicht keine blöden Kommentare. Wenn man aber ganz ruhig bleibt und den tobenden Hund einfach nur festhält und den Passanten vorübergehen lässt oder gar (wenn nötig) wegschickt, hat das eine ganz andere Außenwirkung. Man wirkt ja möglicherweise, als hätte man keinerlei Ahnung, keinerlei Strategie. Deshalb: Du brauchst ein ganz dickes Fell, damit Du solche Situationen mit der Ruhe und Souveränität händeln kannst, die Dein Hund von Dir braucht. Lass die Leute doch reden. Lass sie denken, was sie denken wollen. Du selbst weißt es besser. Du weißt, warum Dein Hund so (aus)tickt. Du weißt, wo Du im Training stehst. Du weißt, welche Fortschritte Du mit Deinem Hund schon gemacht hast. Bleibt ganz bei Dir, und lass die Leute Leute sein.

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